Mein Frankreich: Silvia Wigger - Mein Frankreich (2024)

„Mein Frankreich“ ist nicht nur Titel meines Blogs, sondern auch Programm: Ich möchte möglichst viele von euch animieren, euer Frankreich vorzustellen. Mein Frankreich – was bedeutet das für euch? Diesmal stellt Silvia Wigger ihr Frankreich vor. Über sich sagt sie:

Ich lebe mit Mann und Hund im Raum Frankfurt, verdiene mein Geld im bürgerlichen Hauptberuf damit, jungen Menschen fremde Sprachen beizubringen, entwerfe und fertige im kreativen Nebenberuf als Miss Pennymoney individuelle Taschen und Accessoires aus Wollfilz. Ich kann es kaum erwarten, in wenigen Jahren das verpflichtende Arbeitsleben hinter mir zu lassen und die Freiheit mit all den Träumen zu füllen, die da noch in mir schlummern.

Meine Liebe zu Frankreich ist schon über 40 Jahre alt, trotzdem hätte ich nie gedacht, dass ich eines Tages in einem bretonischen Landhaus ein (vorerst) zweites Zuhause finden würde.

In der Schule als zweite Fremdsprache Französisch gewählt und bald die erste Brieffreundschaft begonnen. Nicht lange danach verbrachte ich einen wundervollen Sommer bei und mit der Familie meines Brieffreundes Philippe. Nach dem Abi dann das Studium der Anglistik und Romanistik an der altehrwürdigen Ruperto Carola in Heidelberg.

Ach, was habe ich dem Institut Français dort alles zu verdanken … unzählige Stunden im Sprachlabor, um den Feinschliff der französischen Aussprache sicherzustellen. Grammatik- und Wortschatzübungen bei der ebenso gnadenlosen wie genialen Madame Walther und zahlreiche Seminare zu Werken der französischen Literatur.

Privat ging es in jedem Urlaub nach Frankreich, immer Camping in über die Jahre und Jahrzehnte wechselnder Formation, je nach aktueller Lebenssituation: mit Wohnwagen, Bus, Zelt, Motorrad, mit und ohne Mann, mit und ohne Kinder, mit und ohne Hund.

Egal wann, egal wie, sobald ich über den Rhein fuhr und die Schilder mir sagten, dass ab hier auf Autobahnen 130 gilt, breitete sich ein wohliges Glücksgefühl aus. Immer fühlte es sich vertraut an, irgendwie zuhause ohne ein Zuhause dort zu haben.

In der Bretagne war ich zum ersten Mal vor etwa 25 Jahren mit einem sehr lieben Freund (wer gemeinsam die Prüfungen von Madame Walther geschafft hat, den verbindet lebenslang etwas).

Die Gluthitze des Sommers 2019 und demgegenüber sehr angenehme Temperaturen in der Bretagne waren dann für meinen Mann und mich ausschlaggebend für den spontanen Entschluss.

Dieses Jahr geht es nicht nach Südfrankreich, sondern in die Bretagne. Der Plan: Wir lassen uns mit unserem Zeltanhänger treiben, fahren die Küste entlang, bleiben mal hier und mal dort.

Die Ausführung: wir landeten auf einem kleinen, sehr familiären Campingplatz im Finistèrean der Küste … und blieben. Erst „zwei, drei Tage“. Dann „ach, eine Woche“.

Und dann bis zum letztmöglichen Tag. Irgendwas ist in diesen 3 Wochen mit uns geschehen, was nicht mehr rückgängig zu machen ist.

Am Ende nistete sich der Gedanke ein: was wäre, wenn wir uns hier niederlassen könnten? Anfangs für die Ferien, und nach dem Arbeitsleben vielleicht für immer?

Ein halbes Jahr und unzählige Stunden Internetrecherche später war es gefunden: unser bretonisches Schlösschen. Nein, wir sind nicht größenwahnsinnig, das kleine Steinhaus heißt nur so: Le Petit Château. Mitten im bretonischen Nirgendwo der Côtes-d‘Armor, außerhalb eines kleinen Dörfchens mit etwas über 300 Einwohnern.

Nach Weihnachten entdeckt, ein paar Tage überlegt, Anfang Januar spontan hingefahren und trotz strömenden Regens und Matsch sofort gewusst: das ist es. Alles war bestens geplant: Vorvertrag per Post und Vollmacht, eine Woche vor Ostern der endgültige Notartermin, Übernahme des Hauses, einrichten, ankommen, freuen, loslegen.

Aber Corona kam noch vor Ostern, und alle Pläne hatten sich erledigt. Wochen und Monate des Wartens, Hoffens, sich Sehnens haben wir nur ertragen dank Hilke und ihrer tollen Seite. Dafür kann ich nicht oft genug Danke sagen!

Doch auch das längste Warten hat irgendwann ein Ende, und im Juni konnten wir endlich mit Sack und Pack losfahren. 2 aufgeregte Menschen und 1 entspannter Hund, 2 Autos, 2 Hänger und jede Menge Möbel und anderer Hausrat machten sich auf die lange Fahrt zum Traumschlösschen.

Dank der Informationen zu auf Hilkes Blog konnten wir zum ersten Mal entspannt grinsend durch jede Mautstation cruisen. Auch die Crit´Air-Plakette hatten wir uns vorher besorgt, sicher ist sicher.

1.100 km später kamen wir abends todmüde an und wurden herzlich von Edwina empfangen, die uns seit Januar als professionelle Haussucherin kundig und sehr engagiert durch alles begleitet und die Schlüssel für uns beim Notar abgeholt hatte.

Sie hatte sogar eine Flasche Cidre für uns bereitgestellt und ein paar typische Leckereien als Willkommensgruß.

An dem Abend schafften wir es dann gerade noch, die Matratzen auf dem Boden auszubreiten, uns ungläubig anzuschauen und zu versichern: wir sind da, wir sind wirklich und wahrhaftig endlich da!

Der nächste Tag stand im Zeichen des Einzugs. Die ersten Möbel schleppen und aufbauen, ein paar Kisten auspacken und vor allem mit Maßband, Zettel und Stift bewaffnet durchs Haus gehen und schauen, was muss noch geplant, gemacht, besorgt werden.

Da es am nächsten Tag schon wieder zurückging, blieb noch keine Zeit, das neue Zuhause zu genießen. Das konnten wir dann endlich zwei Wochen später tun, als für uns der so lang ersehnte Sommerurlaub kam. Ich fuhr mit dem Hund vor, mein Mann kam eine Woche später nach.

Fünf herrliche lange Sommerwochen staunten wir jeden Tag: über das Licht, den Wind, die wundervolle Luft, den Ausblick über die Felder und Hügel, die Ruhe, und diese Weite! Alles ist weit hier, das Land und meine Seele. Bitte seht mir nach, dass es kurz sehr poetisch wird, aber ich muss an diesem Ort immerzu an mein Lieblingsgedicht denken:

Mondnacht

Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt‘.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Joseph v. Eichendorff, 1837

Das ist für mich dieser Ort, genau das. Als ich ankam, wogte der später geerntete Weizen noch auf den Feldern ringsumher. In unserer Scheune nisteten die Schwalben und auf meinen Spaziergängen mit dem Hund sind uns schon Rehe, Hasen und Füchse begegnet. Selbst die Wildtiere sind hier eindeutig entspannt und ziehen nach einem Blickwechsel gemächlich ihrer Wege.

Dieses ungewöhnliche Verhalten irritiert besonders unseren Jagdhundmischling sehr: sieht aus wie Beute, riecht wie Beute, verhält sich aber nicht wie Beute?! Er sieht mich dann immer ratlos von der Seite an, als ob er fragen würde: „Was um alles in der Welt ist denn hier los?“ Und vergisst völlig, dass er doch eigentlich von seinem Naturell her hinterherrennen wollen würde.

Ja, man muss die Stille und Abgeschiedenheit mögen (wer Trubel sucht, sollte sich an die Küstenorte halten). Aber für uns ist es das Paradies auf Erden, und wenn uns nach Trubel sein sollte, ist es in alle Richtungen nur eine gute Stunde bis zu allen Küsten.

Selbst unser Hund ist schnell dem geruhsamen Rhythmus erlegen und beschränkt sich abgesehen von einer täglichen Inspektionsrunde einmal rund um unsere „Ländereien“ auf gelegentliche Liegeplatzwechsel vom Schatten in die Sonne und zurück.

Die ersten Tage waren eher kühl und nieselig, die Landschaft zeigte ihr magisch geheimnisvolles Gesicht. Dann wurde es traumhaft sommerlich, ein solches Blau am Himmel habe ich selten woanders gesehen.

Ich lag stundenlang im Garten und schaute nach oben, ohne etwas zu tun, zu wollen, zu denken. Da konnte ich sogar den meterhohen Wildwuchs auf der über 6.000 qm großen Weide hinterm Haus vergessen.

Der beschäftigte uns übrigens ganz schön, Corona sei „Dank“. Immerhin haben wir im Sommer gerade noch den letzten Rasentraktor im Fachgeschäft ergattert, der für solche Flächen geeignet ist.

Nach dem déconfinement hatten sie alles abverkauft, was sie auf Lager hatten, wir waren also nicht die Einzigen mit Rodungsbedarf …. An einem stürmischen und regnerischen Tag haben wir auch den alten Kamin eingeweiht und uns am knisternden Kaminfeuer erfreut.

Ich genieße das gelegentliche Plaudern übern Zaun mit der französischen Nachbarin (die einzige, die wir haben, dieser Weiler besteht nur aus 2 Anwesen J). Auch die nette Postbotin hat immer ein paar Minuten für ein paar freundliche Sätze übrig. Und neben der vielen Arbeit, die wir natürlich in unser neues Zuhause stecken müssen bzw. dürfen, bleibt immer auch Zeit, die Umgebung zu erkunden.

Ganz in der Nähe ist zum Beispiel das Vallée des Saints, das Tal der Heiligen. Ein wirklich sehenswerter Ort, auch wenn unserem Hund die eine oder andere Skulptur etwas suspekt ist.

Ebenso suspekt wie diese großen, gescheckten Tiere, die hier auf manchen Weiden herumlungern und nichts Besseres zu tun haben, als arme, vorbeilaufende Hunde in Angst und Schrecken zu versetzen, in dem sie neugierig angelaufen kommen.

Naja, Frauchen sagt immer, sie beschützt ihn notfalls vor den Kühen, so heißen die wohl, und bis jetzt ist ja auch immer alles gut gegangen.

Eines Tages hielt ein vorbeifahrender Landschaftsgärtner spontan an, als er sah, dass wir beim Heckenschneiden waren. Ob wir Arbeit für ihn hätten, wollte er wissen. Corona habe ihn um alle Einnahmen gebracht, er brauche dringend Arbeit und müsse Geld verdienen, deshalb fahre er jetzt übers Land und biete seine Dienste an.

Er kam uns wie gerufen, drei Bäume mussten dringend geschnitten werden, da die Äste in die Stromleitung wuchsen. Gesagt getan, er stellte seine große Leiter auf, bewaffnete sich mit seiner Kettensäge und stieg unter stetigem fröhlichem Geplauder hoch und erledigte alles zu unserer Zufriedenheit.

Es war eine sehr lustige Begegnung, da er sich selbst immer auf die Schippe nahm. Er war eher klein, und meinte immer „Achtung, jetzt sehen Sie einen kleinen Engel aufsteigen, aber hoffentlich nicht fliegen!“ Er hat uns dann noch seine Karte dagelassen, falls wir ihn nochmal brauchen, und fuhr fröhlich winkend davon.

Es gibt sicher noch viel zu tun hier, und es gibt auch vieles, was wir einfach gern tun wollen (die verwilderte ehemalige Pferdeweide gärtnerisch gestalten zum Beispiel). Aber wir haben ja Zeit. Es kommen ja noch einige Ferien, bis wir in ein paar Jahren dann übersiedeln wollen. Und bis dahin genießen wir jeden Augenblick, den wir hier sein dürfen, in unserem kleinen Schlösschen, mitten im bretonischen Nirgendwo.

Der Herbstbesuch musste dank Corona leider abgekürzt werden, da Deutschland die Bretagne kurz zuvor zum Risikogebiet erklärte hatte und wir daher die Quarantäne einplanen mussten. Das bescherte uns ziemlich stressige Ferien, die diesen Namen wirklich nicht verdienten.

Die neue Sickergrube wurde installiert. Drei sehr freundliche Handwerker und jede Menge schweres Gerät verwandelten die Wiese direkt hinterm Haus in eine Matschwüste. Wenigstens die jungen Obstbäume wurden verschont, da war ich offenbar deutlich genug … .

Der einzige, der sich über die Matscherei freute, war der Hund: als die Maschinen und Menschen abgezogen waren, rannte er in seliger Begeisterung unzählige Male im Kreis herum und kam völlig matschverschmiert, aber überglücklich hechelnd wieder zurück. Die anschließende Dusche ließ er dann ohne Murren über sich ergehen, so hat jedes Vergnügen im Leben eben seinen Preis.

Auch die alte Küche musste raus und die neue sollte eingebaut werden. Schwarzer Schimmelbefall tauchte beim Abbau der alten Küchenmöbel auf, und mal wieder dauerte alles länger als gedacht. Immerhin konnten wir den Zugang der Mäuse finden und verschließen, die uns bis dahin regelmäßig besuchten.

Jetzt ist Dezember, Weihnachten steht vor der Tür, und nachdem das RKI endlich ein Einsehen hatte, können wir unser erstes Weihnachtsfest in der Bretagne verbringen.

Wieder sind der Hund und ich vorgefahren. Der Weihnachtsbaum steht, ein paar Lichter leuchten im Fenster, und das Brennholz verspricht warme Abende.

Und wieder haben wir vier Jahreszeiten hier, jeden Tag: mal stürmt es, dass die Fensterläden wie wild klappern, mal regnet es sintflutartig und dann scheint die Sonne von einem blauen Himmel, während die Vögel zwitschern. Es ist einfach schön, wieder zuhause zu sein.

Der Beitrag von Silvia Wigger ist ein Gastartikel in einer kleinen Reihe, in der alle, die dazu Lust haben, ihre Verbundenheit zu Frankreich ausdrücken können. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Frankreich, Erlebnisse, Gedanken. Ihr wollt mitmachen? Dann denkt bitte daran:

• Keine PDFs.

• Text: per Mail in Word, Open Office oder per Mail. Denkt daran, euch mit ein, zwei Sätzen persönlich vorzustellen.

• Fotos: Bitte schickt nur eigene Bilder und jene möglichst imQuerformatund immer inOriginalgröße. Sendet sie gebündelt mitwww.WeTransfer.com(kostenlos & top!) – oder EINZELN ! – per Mail. Bitte denkt an ein Foto von euch – als Beitragsbild muss dies ein Querformat sein.

• Ganz wichtig: Euer Beitrag darf noch nicht woanders im Netz stehen.Double contentstraft Google rigoros ab. Danke für euer Verständnis.

Vor der Veröffentlichung erhaltet ihr euren Beitrag zur Voransicht für etwaige Korrekturen oder Ergänzungen. Erst, wenn ihr zufrieden seid, plane ich ihn für eine Veröffentlichung ein.Merci !

Ich freue mich auf eure Beiträge! Alle bisherigen Artikel dieser Reihe findet ihrhier.

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